Immer wieder werden pflanzliche Lebensmittel von der Industrie wegen angeblicher Verwechslungsgefahr vor Gericht gezerrt. Das führt zu allerhand kreativen Namensgebungen wie „No Milk“ oder „Nilk“. Doch was steckt wirklich hinter diesen Klagen?
Ein brandaktueller Fall ist der Likör ohne Ei von Warlich Rum. Die wurden vom „Schutzverband der Spirituosen-Industrie e. V.“ verklagt, weil „Likör ohne Ei“ eine unrechtmäßige Anspielung auf Eierlikör sei:
Den Vorstand des Schutzverbandes der Spirituosen-Industrie stellen Konzerngrößen wie Verpoorten, Underberg. Prinzipiell ist es natürlich vollkommen richtig und wichtig, dass es festgelegte Schutzstandards gibt, besonders im Lebensmittelbereich. Denn wenn es begründete Vorgaben gibt, die die Qualität eines Produktes hoch- und potenziellen Schaden fernhalten, ist das unterm Strich natürlich gut für uns Verbraucher:innen.
Was die Abgrenzung zu pflanzlichen Alternativen angeht, kommen wir da natürlich auf weniger heroische Motive. Vorgeblich geht es gerne mal um die Verwechslungsgefahr.
Verbrauchertäuschung und Verwechslungsgefahr?
Beim „Likör ohne Ei“ begründet in einem Fernsehinterview der Anwalt des Verbandes die Klage so:
„Weil in diesem Zusammenhang das Wort ‚Ei‘ eine Anspielung auf Eierlikör darstellt. Das ist eben nicht nur verboten, das Wort genau so, wie es in der Verordnung steht, zu verwenden. Es reicht, wenn die gedankliche Assoziation zu dem geschützten Verbot hergestellt wird.“
Es reicht, wenn die gedankliche Assoziation hergestellt wird.
Ole Wittmann, der Gründer von Warlich Rum, hat sich verklagen lassen. Im ersten Termin im Juni haben beide Seiten eine gütliche Einigung abgelehnt. Das Urteil wird Ende August erwartet.
Für Fleischersatzprodukte gilt in der EU bisher, dass das Parlament vor einigen Jahren ein Verbot für Fleischnamen bei vegetarischen und veganen Produkten abgelehnt hat. Darum dürfen sie bisher Begriffe wie „Burger“, „Steak“, „Chicken“ in der Bezeichnung tragen. Doch auch da scheint die Industrie erneut ein Verbot anzustreben. Vor einer Woche hat mir der Algorithmus diesen Hinweis gezeigt:
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Produktverpackungen sind eindeutig. Vegane Produkte schreiben überall dick und fett drauf, dass es eine pflanzliche Alternative ist, woraus sie besteht, meist mit einem deutlich sichtbaren Vegan-Symbol. Denn sie wollen ja eindeutig als veganes Produkt erkennbar sein.
Die herkömmlichen Milchprodukte tun das genauso. Das Pseudo-Argument der Verwechslung dient dazu, zu bewahren und auszugrenzen: Man möchte das Normalisieren von Alternativen zu Milchprodukten verhindern. Der Markt kippt bereits, mehr und mehr Menschen probieren einfach mal aus, aus Neugier oder weil ein Familienmitglied, jemand im Freundeskreis oder bei einer Veranstaltung vegan is(s)t.
Vor allem geht es jedoch darum, dem Wettbewerb das Leben schwerzumachen.
Ausbremsen und Geld kosten
Kleine Unternehmen, insbesondere Startups, treiben pflanzliche Innovationen. Sie sorgen für Vielfalt am Markt, bringen Authentizität und Werte mit. Etablierte Unternehmen und Industrieverbände verwickeln kleinere Unternehmen in kostspielige und oft langwierige Rechtsstreitigkeiten. Das kann für ein Startup oder eine kleine Firma bereits das Aus bedeuten, zumindest massiv ausbremsen.
Da sind wir dann bei David gegen Goliath: Die Konzerne hinter den Klagen haben genug Manpower und bezahlen juristisches Vorgehen aus der Portokasse. Warlich Rum beispielsweise hat für seine Klage per Crowdfunding über 50 000 Euro von 1096 Unterstützer:innen bekommen. [Sofern er vor Gericht gewinnt, wird er nach Abzug der Kosten den Rest an den Deutschen Tierschutzbund spenden.] Doch es geht ja nicht nur ums Geld. Es werden Ressourcen gebunden. Wer sich gezwungen sieht, sofort eine Unterlassungserklärung abzugeben, weil Prozesskosten, Zeit und Nerven nicht aufzufangen sind, wird dennoch zur Kasse gebeten. Erst recht durch Folgekosten, die etwa durchs Verändern bestehender Designs entstehen: Labels, Verpackungen, Marketingmaßnahmen, etc. muss oftmals geändert werden. Hat sich ein Produkt bereits einigermaßen am Markt etabliert, entstehen durch Änderungen weitere Herausforderungen. All das zieht eine Lawine an Aufwand und Kosten nach sich.
Abgesehen vom Geld geht es jedoch auch um Sprache und Bewusstsein.
Allgemeine Akzeptanz ausbremsen
Eine Verwechslungsgefahr ist natürlich vorgeschoben: Pflanzliche Alternativen sind auf der Verpackung eindeutig bezeichnet.
Es geht darum, seine Pfründe zu sichern. Pflanzliche Lebensmittel sind auf dem Vormarsch. Der Markt wird stetig größer, Supermarktketten wie REWE testen mit großem Erfolg Märkte, die zu 100 % vegane Produkte anbieten. Für Gesundheit, Umwelt und Klimaschutz wird pflanzenbasierte Ernährung immer öfter empfohlen.
Hier schwimmen, um eine für die Tierindustrie passende Redewendung zu nutzen, Felle davon. Darum wird alles drangesetzt, den Status Quo möglichst lange zu bewahren. Unter anderem, indem durch Lobbyismus und gesetzliche Vorgaben die Entwicklung verzögert und behindert werden soll, was sich nicht mehr aufhalten lässt: Dass es mehr und mehr Wettbewerb gibt und dass stetig Marktanteile an pflanzenbasierte Lebensmittel gehen.
In diesem Zusammenhang ist vor einigen Wochen diese Werbekampagne immer wieder in meine Social Media-Timeline eingespielt worden. Natürlich habe ich sofort ins Impressum der Website geschaut. Wer steckt da wohl dahinter?
Dieser Werbespot von der „Initiative Fleisch GmbH“ spricht im Video und auf seinen Websites von Vielfalt und Entscheidungsfreiheit. Gesellschafter der Initiative Fleisch sind der Deutsche Bauernverband und der Verband der Fleischwirtschaft. Da ist die Rede von:
- Essen und essen lassen (Wenn ausgerechnet die Fleischindustrie den Spruch „Leben und leben lassen“ abwandelt!)
- Vielfalt und Genuss stärken
- Wir stehen für einen offenen und faktenbasierten Dialog rund um das Lebensmittel Fleisch.
Alles daran ist absurd.
Aktuell in den Medien ist ein Rechtsstreit von Brand Qualitätsfleisch, die der Initiative Fleisch GmbH angehören: Die Tierrechtsaktivisten Anna Schubert und Hendrik Haßel haben Aufnahmen der CO2-Betäubung von Schweinen gemacht und veröffentlicht. Brand Qualitätsfleisch, die auf ihrer Website von „Respekt für Mensch, Tier und Umwelt“ reden und sich Transparenz auf die Fahnen schreiben, haben die zwei verklagt:
Niko Brand, Geschäftsführer der Firma Brand Qualitätsfleisch, hatte von Rufschädigung gesprochen und den Schaden auf 98 000 Euro beziffert. Dieser sei ihm durch den Hausfriedensbruch und die Folgen der Videoveröffentlichung unter anderem in den Medien entstanden. Die genaue Höhe des Schadenersatzes muss in einem gesonderten Verfahren geklärt werden.
Auch hier kam glücklicherweise via Crowdfunding viel Geld an Unterstützung zusammen, sodass der Rechtsstreit und nun die Berufung überhaupt erst möglich wird. Gegenhalten muss man sich leisten können. Erst recht, wenn der Rechtsweg instrumentalisiert wird:
SLAPP = Strategic Lawsuits Against Public Participation
Damit sind wir erneut bei strategischen Klagen. SLAPP-Klagen verfolgen den Zweck, kritische Stimmen zu verhindern. NGOs, Medien, Zivilgesellschaft sollen eingeschüchtert werden – und abschreckende Wirkung auf andere haben.
Die deutsche Übersetzung ist „strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung“, das Acronym SLAPP erinnert an das englische „slap“ (Ohrfeige). Wie die taz schreibt, erfüllt die Klage des Schlachthofs Brand gegen die Tierrechtsaktivist:innen nahezu alle Kriterien einer SLAPP-Klage:
Die Klage „sei exemplarisch für den Missbrauch des Rechtssystems, „um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen und die demokratische Meinungsbildung zu untergraben“.
ganzen Artikel lesen: Das System der Einschüchterung
In diesem Zusammenhang empfehle ich, den folgenden taz-Artikel zu lesen, auch wenn es unangenehm ist, sich damit zu konfrontieren. Forschung soll Schlachten sanfter machen: Der Tod der Schweine und die Wahl des Gases
Worum es mir geht
Auch wenn es in diesem Artikel um Ernährung geht, geht es mir damit nicht um Fleisch oder kein Fleisch, vegan oder vegetarisch.
Es geht um Politik, Lobbyismus und die Verbrauchertäuschung, die dort betrieben wird. Um Großkonzerne, die Rechtabteilungen oder große Kanzleien bezahlen können und problemlos Rechtsstreitigkeiten über einen langen Zeitraum finanzieren, während kleine Unternehmen, NPOs und NGOs klein beigeben müssen, weil sie finanziell nicht mithalten können und mundtot gemacht werden.
Es geht mir darum, dass wir bei diesen Scheindebatten nicht mitmachen, wie die, dass „Milch“ zu Verwechslungen führen würde. Lasst uns durchschauen und darüber reden, worum es tatsächlich geht: Macht, Marktanteile und Manipulation.