Ehrlich gesagt, habe ich Tauben fast mein ganzes Leben lang gar nicht richtig beachtet. Und das, obwohl ich drei Jahrzehnte in München gelebt habe. Erst, als ich im 4. Stock Besuch von Eichhörnchen bekam, hat sich das geändert.
Angefangen hat es mit Maroni. Ein schwarzes Eichhörnchen, das eines Tages über meinen Balkon gerannt ist. [apropos: dunkelfellige Hörnchen bitte nicht verteufeln, das sind auch einheimische, zum Vergleich mit den Grauhörnchen bitte hier, auf waldwissen.net schauen]. Fast zwei Jahrzehnte war ich da schon in meiner Wohnung und plötzlich haben mich Eichhörnchen besucht!
Ich habe ihnen dann Nüsse, Sonnenblumenkerne, Apfel, Karotte und frisches Wasser rausgestellt und an die zwei Jahre kamen lediglich Eichhörnchen, davon aber immer mehr. Die Stammkundschaft brachte Nachkommen mit und andere haben wohl beobachtet, wo die Hörnchen immer hinflitzen. Bis eines Tages eine Meisenfamilie entdeckt hat, dass es bei mir was gibt. Für einige Zeit sah mein Balkon aus wie in einem Disneyfilm vor lauter Vögelchengeflatter – und das hat Tauben auf den Plan gerufen: den Toni und die Vroni.
Ein paar Tauben-Fakten
Da ich mich gerne informiere, habe ich den Besuch von Toni und Vroni zum Anlass genommen, mich mehr mit Tauben zu befassen. Nach einigen Jahren kamen sie nicht mehr, dafür war dann Gustav jeden Tag da, der nach kurzer Zeit seine Freundin mitbrachte („die mit dem Pullover“, weil sie so aussah, als hätte sie einen halb über den Kopf gezogenen Pulli an). Ja, ich hatte natürlich etwas Schiss, weil man Tauben in einer Mietwohnung nicht füttern darf. Ich befürchtete, dass sie alle ihre Freunde mitbringen, ich eines Tages heimkomme und Dutzende von Tauben auf meinem Balkongeländer auf mich warten. Trotzdem habe ich ihnen immer mal eine kleine Menge Taubenfutter dazugestellt und auch das Wasser haben sie dankbar getrunken. Durchs Recherchieren und Beobachten habe ich unter anderem gelernt:
Hungerkot
Die vermeintliche Tatsache der „schlimmen, ätzenden, flüssigen Taubenscheiße“ haben wohl die meisten von uns im Kopf. Auch ich fand das immer ganz schrecklich, bis ich gelernt habe, dass es sich hier um Hungerkot handelt, der durch zu wenig und die falsche Nahrung erst entsteht. Ich konnte es bei Toni, Vroni, Gustav und „der mit dem Pullover“ selbst sehen: Sobald sie artgerecht Körner bekommen haben, hat sich in kürzester Zeit die Verdauung reguliert. Wie das bei uns Menschen ja auch ist. Sie haben kompakte, feste kleine Kackhaufen gemacht, wie ich sie von unserem Wellensittich früher kannte. Diese gesunde Kacke ist überhaupt kein Problem: Das kleine Batzerl ist schnell getrocknet und kann unkompliziert – ohne Rückstände – entfernt werden.
Ausführlicher Artikel auf pro-palomas.de: Tauben füttern ist verboten, die finden schon genug … – Fütterungsverbote für Tauben in vielen Städten
Und dann haben Sie vielleicht, wie ich auch, jahrzehntelang gehört, dass Taubenkot sogar Gebäude zerstört. Interessanterweise hat dazu die Technische Universität Darmstadt, Institut für Massivbau – eine bauaufsichtlich anerkannte Prüf-, Überwachungs und Zeritifizierungsstelle, bereits 2004 eine Untersuchung samt Gutachten gemacht, das auf der Website von tierrechte.de eingesehen werden kann: Einfluss von Taubenkot auf die Oberfläche von Baustoffen.
Tauben übertragen nicht mehr Krankheiten als andere Haustiere
Von diesem Mythos dürfte das gemeine Etikett „Ratten der Lüfte“ kommen. Als ich regelmäßig die Tauberl zu Besuch hatte, wurde ich von allen Seiten gewarnt: Dass das so gefährlich sei und ich schlimme Krankheiten riskieren würde, wenn ich in Kontakt mit den Tieren und dem Kot komme.
Beim Recherchieren habe ich gelernt, dass das einerseits von Leuten wie mir verbreitet wird, weil wir es so gelernt haben. Andererseits gibt es rund um Tauben natürlich eine Industrie, die ein Interesse daran hat, die Vögel als schlimm, gefährlich und bekämpfenswert darzustellen. Was übrigens nicht heißt, dass ich das pauschal verteufeln möchte. Es geht letztlich doch immer darum, tierschutzkonform vorzugehen. Letztes Jahr habe ich beispielsweise gelernt, dass es in der Photovoltaik-Industrie taubenschutzkonforme Maßnahmen gibt, die dafür sorgen, dass die Anlagen ungehindert laufen UND es den Tieren gut geht.
Das ständige Wiederholen, dass Tauben eine Pest seien und hochgefährlich für Menschen, fällt unter „Nur weil man etwas oft genug wiederholt, wird es noch lange nicht wahr“.
Liest man sich etwas mehr ein, erfährt man, dass das Risiko nicht größer ist, als bei anderen Tieren. – Wer tiefer einsteigen möchte: Übertragen Tauben Krankheiten und Parasiten? – sehr ausführlicher Artikel auf erna-graff-stiftung.de
Lebenslange Verpartnerung
Tauben sind lebenslang partner- und standorttreu. Genau das wird im Brieftauben“sport“ ausgenutzt – Tauben werden Hunderte bis Tausende Kilometer weggekarrt, vom Partner getrennt und müssen zurückfinden. Es gibt Gewinnprämien bis in den fünfstelligen Bereich!
Auch die von Paaren eigentlich romantisch gedachte Geste, anlässlich ihrer Hochzeit weiße Tauben fliegenzulassen ist Tierquälerei, die auf demselben Prinzip basiert: Tauben werden ausgesetzt und müssen es schaffen, zurückzufinden.
Viele dieser Zuchttauben schaffen es nicht, weil sie völlig entkräftet irgendwo stranden (und dadurch die Stadttauben-Population stetig vergrößern) oder sterben, weil sie den Strapazen, Naturgewalten oder Fressfeinden zum Opfer fallen.
Das Augsburger Modell: Heimat, Futter und Geburtenkontrolle
Zum Glück werden – zwar schleppend – immer mehr Städte und Kommunen aktiv und wenden sich dem Augsburger Modell zu. Anstatt die Tiere zu vergrämen oder gar umzubringen, werden betreute Taubenhäuser geschaffen: Die Tiere ziehen dort ein, werden gefüttert und ihre Eier werden durch Gipseier ausgetauscht. Hier wird den Tauben ein artgerechtes Leben ermöglicht, sie werden versorgt, es ist tierfreundliche Geburtenkontrolle – Tiere und Menschen können friedlich koexistieren.
Lassen wir die Stadt Augsburg selbst zu Wort kommen: Das Augsburger Stadttaubenkonzept
Ausführlicher über das erfolgreiche Taubenmanagement inklusive zahlreicher Downloads berichtet der Tierschutzverein Augsburg.
Auf tierrechte.de gibt es einen detaillierten 22seitigen Download, den ich ganz besonders interessant finde, weil er eine Online-Umfrage von 2020/2021 auswertet, die u. a. die Wirksamkeit abgefragt hat: Erfahrungen mit Stadttaubenprojekten nach dem „Augsburger Modell“ und Praxisbeispiele (PDF)