Menschen reagieren in der Regel anders auf prinzipielle Aufrufe als auf ganz spezifische Personen – oder Tiere – die Hilfe brauchen, weil ihnen Unrecht geschehen ist oder sie gerade in einer Notsituation sind. Dieser Effekt ist bekannt. Doch was steckt dahinter?
Zum Vergleich:
Ihre finanzielle Unterstützung macht unsere Arbeit möglich. | Labrador-Opa Finn ist mit seinen 14 Jahren bei uns im Tierheim gelandet. Er versteht die Welt nicht mehr, ist in fremder, lauter Umgebung. Noch dazu macht ihm seine Arthritis arg zu schaffen. Er würde sich über ein weiches Bett und getreidefreies Spezialfutter freuen. |
Wir brauchen immer Spenden für Tierarztkosten. | Katze Martina braucht Ihre Hilfe: Mit nur zwei Jahren ist sie Opfer eines Verkehrsunfalls geworden. Der Fahrer hat sie einfach liegenlassen! Jetzt kämpft sie mit einem Schädelbruch um ihr Leben. |
Die Aussagen links sind allgemein gehalten. Die Aussagen rechts werden nicht nur konkret, sondern persönlich: Das Schicksal von Finn und Martina geht uns ans Herz, erst recht, wenn sie durch Bilder begleitet werden, vielleicht kommen uns sogar die Tränen. Wir können uns damit identifizieren, in die Situation hineinversetzen:
- Wie alleine sich Finn fühlen muss, ohne seine Menschen und ohne gewohnte Umgebung; wie viele Schmerzen die arme Martina erleiden muss und dann noch hilflos am Straßenrand zurückgelassen!
- Was, wenn es mir so ginge? Wenn ich in der Notsituation wäre, mir eine lebensrettende Operation meines Haustieres nicht leisten könnte. Würde ich mir dann nicht auch wünschen, dass andere mir dabei helfen?
Die ohnehin schon vorhandene Empathie wird durch solche konkreten Angaben noch stärker geweckt: Dieses Tier braucht mich. Die Situation – und mein Handeln – ist dringender gefordert, und zwar jetzt! Ich kann beitragen, dass Finn es wenigstens ein bisschen angenehmer hat, während er im Tierheim ausharren muss. Ich kann mit meinem Beitrag diesem armen Kätzchen die dringend nötige OP ermöglichen. Ob ich jetzt spende oder nicht, macht einen Unterschied.
Eine Spende für ein bestimmtes Tier macht die Wirksamkeit meines Handelns zudem unmittelbar spürbar: Wenn ich ein Update sehe, wie Finn entspannt auf seinem weichen Bett liegt. Wenn ich auf Social Media verfolgen kann, wie er sich im Tierheim einlebt oder – mitsamt seinem Bett – in ein Für-Immer-Zuhause ziehen kann, habe ich das bewirkt. Wenn ich Updates zum erfolgreich operierten Kätzchen bekomme und den Heilungsprozess miterleben kann, fühle ich mich gut und bin noch motivierter, gezielt zu unterstützen.
So wichtig es ist, Tierschutzvereine generell mit Mitgliedschaften und Spenden zu unterstützen, so wichtig ist die Psychologie hinter Einzelschicksalen. Hier entsteht eine Unmittelbarkeit: Dieses Tier braucht XY, ich ermögliche es, das ist das Resultat.
Einige Beispiele
Der Bärenwald Müritz ist ein Sanctuary für gerettete Braunbären. 2019 wurde beispielsweise Rocco aus Albanien gerettet. Auf Social Media konnte man von Anfang an verfolgen, wie die Rettungsaktion verläuft und sozusagen „live“ mit der Bärenambulanz vom Käfig ins neue Zuhause, in die Freiheit, fahren. Ich bette ein Dodo-Video ein, weil es alles im Zeitraffer erzählt. Auf der Instagramseite des Bärenwaldes Müritz gibt es in den Stories eine Sammlung speziell zu Roccos Rettung.
Menschen spenden eher, wenn es um Einzelschicksale geht
… das geht schon beim Namen an. Wenn man sagen würde „hier ist eine Streunerkatze angefahren worden und braucht eine Operation“, ist die Resonanz eine ganz andere, als wenn die Katze Martina, die sich alleine in der Kälte durchschlagen und hungern musste, zudem noch von einem Auto angefahren und schwer verletzt wurde. Wenn wir das Leid eines einzelnen Tieres sehen, werden die umfassenden Probleme im Tierschutz greifbar und dringend.
Bei Naturkatastrophen, Waldbränden oder Animal Hoarding ist es genauso: Wir spüren das Leid der Vielen und springen gleichzeitig verstärkt auf Einzelschicksale – identifiable victims – an. Bei den schlimmen Waldbränden in Australien 2019 und 2020 waren auf der Adopt-a-Koala-Seite der koala conservation australia unzählige Koalas mit Brandwunden und Handschuhen an Händen und Füßen zu sehen. Und auch jetzt lässt sich anhand der Seite sehr gut nachvollziehen, wieviel stärker der Impuls zu spenden ist, wenn man es mit einzelnen Tieren zu tun hat.
Noch ein Beispiel: Stray Rescue of St. Louis gibt sehr ausführliche Informationen und Updates, ganz besonders für einzelne Hunde, die ganz besonders viele Spenden – etwa für Operationen – brauchen, z. B. hier für Matlock.
Kürzliche habe ich über Tauben-Patenschaften geschrieben, die genau diese Individualität herstellen, verbunden mit regelmäßigen Spenden. Beispielsweise bin ich Patin von Flora, die neurologische Schäden hat und von Goofy, dem ich einen Weihnachtswunsch erfüllt habe.
Auch wenn man das, wofür eine Organisation steht, grundsätzlich unterstützt, beleuchten Einzelschicksale die genaue Arbeit und das Warum so viel deutlicher als die ebenso wichtigen allgemeinen Aufrufe zu spenden.
Und es bietet jedem Tierschutzverein die Möglichkeit, für sich zu argumentieren. Denn als Spendende weiß man: Das Geld reicht nie. Es gibt so viele Vereine, Organisationen und gute Zwecke, für die man spenden kann. Das konkrete Greifbarmachen der eigenen Arbeit und das Sammeln gezielter Spenden bringt Argumente auf die Frage: „Warum sollten Sie ausgerechnet an uns spenden?“